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Ihr Blick fiel auf die schwarzen Handschuhen, die seine Finger verbargen. Immer trug er diese Handschuhe, jedenfalls hatte sie ihn bisher nie ohne gesehen. Komische Angewohnheit auch in seinem eigenen Haus welche zu tragen. Was er wohl zu verbergen hatte? Eine hässliche Narbe? Abgekaute Fingernägel? Oder ekelte er sich vor Dreck auf seiner Haut? Nein, so schätzte sie ihn eigentlich nicht ein.
Birdie hob ihren Kopf, als sich die Tür öffnete und strahlte Corvus Cresswell in sein ausdrucksloses Gesicht. Er stand dort wie ein Schatten in Menschengestalt. Regungslos, als wäre er selbst Teil des Mobiliars. Ausdruckslos wie eh und je. Doch Birdie ließ sich davon nicht beirren.
Die Stimmen um uns herum haben sich auf eine Frequenz geeinigt. Je mehr ich mich anstrenge, ihnen zu folgen, irgendetwas von ihnen zu verstehen, desto mehr verschwimmen sie zu einem monotonen Knacken, das sonst nur durch statische Aufladung entsteht. Ein Kribbeln, ein Flimmern in der Luft, das die Körper im Raum nicht einfach umgibt, sondern wie eine formbare Masse vor uns dahin schwebt.
Die Erkenntnis, dass seine bloße Existenz Gespräche beenden kann, Menschen dazu bringt, ihren Atem anzuhalten und sich nach ihm umzudrehen, ist ihm sicherlich nicht neu, sondern eher wie ein vertrauter Bekannter, der regelmäßig und nahezu unauffällig zurück in sein Leben tritt.
Der Applaus, der immer noch in meinen Ohren klingt, ist wie ein Rasseln, nur gelegentlich durchzogen von unterschiedlichen Stimmfarben, die sich schon längst nicht mehr den Raum mit mir teilen und langsam verblassen, ohne gänzlich zu verschwinden. Wie feine Nebelschwaden kriechen sie durch meinen Verstand und verknüpfen sich mit den Mündern, aus denen sie ursprünglich gekrochen sind.
Sein Lächeln perlte im ersten Moment von ihr ab. Wie Wassertropfen an einer Wasserscheibe, die ins Innere gelangen wollten. Sie hingen dort fest, schafften es nicht der Schwerkraft zu trotzen und rutschten trostlos hinab, bis sie sich in einer elenden Pfütze sammelten.
Gemieden zu werden. Nicht mehr gewollt zu werden, war ein leiser Schmerz. Einer, der nicht schreit, sondern frisst. Und er nahm einem das Vertrauen an allem Guten auf der Welt, denn es gab kaum noch Menschen, die ihr sagten, dass auch sie diese Momente verdient hatte.
Auf der einen Seite brannte die Sehnsucht, alles in Ordnung zu bringen, Cassius' Stimme wieder zu hören, seinen trockenen Humor, seine ruhige Art, die ihm stets Halt gegeben hatte. Auf der anderen Seite war da diese lähmende Scham, die ihm ins Gesicht schlug, sobald er nur daran dachte, den ersten Schritt zu tun.
Er dachte an die vielen kleinen Dramen der Vergangenheit, die ihm heute beinahe lächerlich erschienen. Damals hatte er keine Ahnung gehabt, wie schwer das Gewicht der Welt auf einem lasten konnte, wie zermürbend die Verantwortung war, wenn sie nicht mehr nur aus guten Schulnoten oder pünktlichen Heimkehrzeiten bestand. Als Kind war sein größtes Problem vielleicht gewesen, ob Mutter ihn beim Naschen erwischen würde. Heute drohten Dinge in seinem Innersten zu zerbrechen, von denen er fürchtete, dass kein Frosch der Welt sie mehr kitten könnte.
Seine eigenen Erinnerungen an den Raum, der für ihn vorgesehen war, fühlten sich jedoch brüchig an. Kein echtes Heimatgefühl hatte sich hier je verankert.
Alles in der Haltung seiner Schwester wirkte sicher, bedacht, verlässlich. Er beneidete sie um diese Fähigkeit, so leise und doch kraftvoll durch alles hindurchzugehen. Natürlich wünschte er sich manchmal, sie würde sich mehr öffnen, ihre eigenen Gefühle lauter äußern, doch genau diese Stille, die sie umgab, war auch der Grund, warum er sich in ihrer Nähe immer ein kleines Stück sicherer fühlte. Als könne nichts vollständig aus dem Ruder laufen, solange sie da war.
Diese Ruhe war ihr eigenes Terrain, eine Festung, die sie meisterhaft bewohnte, während er selbst sich schon seit Tagen wie ein Eindringling in den eigenen Gedanken fühlte.
Velmas Hände bewegten sich mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit. Jede Scheibe Brot, die unter dem scharfen Schnitt des Messers in gleichmäßige Portionen zerfiel, wirkte wie ein eigener, in sich abgeschlossener Vorgang. Streichen, legen, ordnen — die Ruhe, die sie dabei ausstrahlte, schien ihn fast körperlich zu umhüllen.
Es war nicht länger nur sein Geheimnis, sondern ihr gemeinsames, schließlich war auch sie hier. Sie hatte gewusst, dass es etwas gab, das er bewusst vor ihr verbarg. Nicht, weil Nikolay sich verdächtig verhalten hatte, sondern weil jeder Mensch nun mal Geheimnisse mit sich trug. Und dass sie nun eher zufällig als bewusst eines von seinen aufgedeckt hatte, befriedigte Venus auf eine andere Art und Weise.
Er starrte Arvin an, fragte sich noch, wie er nun doch die Kraft aufgebracht hatte, die schweren Lider zu öffnen, als sein Körper sich bereits in Bewegung setzte, die noch verbliebene Distanz zwischen ihnen zurücklegte und auf den des Lambs prallte wie ein Verdurstender, dem man gerade den helfenden Rettungsring entgegengeworfen hatte; und mindestens genauso sehr wie die Hoffnung auf Bergung aus diesen tosenden Wellen krallten sich seine Finger in die Schultern seines besten Freundes, als er ihn mit all seiner Kraft an sich drückte und den vertrauten Geruch einsog, von dem er überzeugt gewesen war, nie wieder Zeuge werden zu dürfen.
Er wehrte sich gegen den Gedanken, schmerzte er doch zu sehr, doch wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann hatte Arvin mit dem Auszug aus seinem Leben genau das mit sich genommen, was der Shepherd daran geschätzt hatte. Was er, genau genommen, überhaupt erst dort aufgebaut hatte. Als hätte er, nach Davins Tod, eine Saat in seinem Inneren fallen gelassen, die sich erst mit der Zeit in die Erde gegraben und dort langsam, aber stetig gewachsen war, die Farben zurück in sein Leben gebracht, seinen trüben Blick geschärft hatte für Kontraste und Schönheit, für Details und kleine Wunder.
Der Shepherd sah all diese Veränderungen, spürte sie jedoch nicht. Er erkannte, dass der Winter Einzug hielt, doch anders als sonst sah er seine Schönheit nicht mehr und hielt auch keine Anteile an einem Aufkeimen seines Interesses dafür. Wo ihn an Schneeflocken die wundersame und gleichsam -schöne Struktur in den Bann gezogen hatte, das Wachsen der Eiskristalle bei stetig voranschreitendem Gefrieren des Wassers, sah er nun nicht mehr als genau das – gefrorenes Wasser, das vom Himmel fiel.
Er nickte seinen Geschwistern zu und trat los, den Blick dabei kurz zu Hamlet senkend, der mit gesträubtem Stolz und meckerndem Unmut Velma folgte, wie ein bockiges Kind. Arvin sah zu seiner Schwester, hob eine Braue, dann folgte ein schmunzelndes Kopfschütteln. Typisch Hamlet.
Natürlich wollte auch er eine bessere Zukunft. Für ihre Welt und selbstverständlich auch für die Welt der Sinma. Für seine Familie und Freunde, die teilweise schreckliches durchgemacht hatten. Für sein Patenkind und alle anderen Kinder, die ihre Generation in den kommenden Jahrzehnten ablösen würden. Eine Welt ohne Angst, ohne Grausamkeit, ohne die Schatten, die ihm selbst zu lange gefolgt waren. Eine Zukunft, in der das größte Abenteuer das Lernen, Entdecken und Leben war — und nicht das bloße Überleben.
Er war nicht gekommen, um Seelen zu retten. Nur, um die Wahrheit aus dem Dreck zu ziehen. Und wenn sie dabei zerschlagen, zerbrochen oder verbrannt werden musste, dann war das eben der Preis.
Es war, als würde ihre Umgebung selbst einen Schritt zurücktreten, um Platz zu machen für das, was sich nun zwischen den Fugen des Moments schälte: die Präsenz der schwarzen Magie. Ein leiser Nebel, träge und schwer, wie die Erinnerung an etwas, das längst in Vergessenheit geraten war. Corvus ließ ihn spüren, dass sie da war, nicht, indem er sie direkt entfaltete, sondern indem er sie andeutete, wie ein Bild, das im Dunkel nur durch die Silhouette zu erkennen war. Die Narben an seinem eigenen Körper, gut verborgen unter Stoff und Zauber, schienen bei ihrem Flüstern mitzusingen.
Er trat näher, sein Blick wie ein Skalpell, das bereits vor dem Schnitt erkannte, wo die Schwäche saß.
Der Ausdruck in seinem Gesicht war ein Chaos aus vielem: Erschöpfung, Angst, der unbeholfene Versuch, sich nicht in seinen eigenen Gedanken zu verlieren. Verzweiflung stand darin, klar wie Tinte auf frischem Pergament. Er sah ihr beim Arbeiten zu, wie sie Brotscheiben schnitt, als wären es Gedanken, die sie in gleichmäßige Scheiben portionierte.
Er biss sich auf die Unterlippe, spürte das schmerzhaft ziehende Brennen einer alten, aufgebissenen Stelle, die nie ganz verheilte. Seine Finger verschränkten sich, verkrampften sich, lösten sich wieder. Es war ein leises, inneres Ringen, fast so, als würde er seine eigene Auflösung hinauszögern, eine Bewegung nach der anderen, um nicht vollständig zu zerfallen.
Kalt war es, aber auf die gute Art. Nicht beißend, nicht schneidend, sondern frisch und klar, wie ein Schluck eiskaltes Wasser aus einem Bergbach. Die Sonne hatte sich heute erbarmt und ließ die dicke Schneedecke im hellen Licht wortwörtlich erstrahlen, so dass es fast schon in den Augen schmerzte. Jeder Ast, jeder Zaunpfahl, jedes Dach war mit einer makellosen Schicht Schnee bedeckt, die so weich und glatt wirkte, als hätte jemand mit einem besonders zarten Pinsel darüber gemalt.
„Ich verspreche, ich höre dir zu. Nur halte mich jetzt nicht auf, ich bitte dich. Du bist für das hier nicht gemacht. Selbst wenn du weißt, was ich tue, und wofür ich gemacht bin. Du bist es nicht. Und das will ich bewahren.“
"[...] Dann kannst du mir völlig zu Recht eine Moralpredigt halten und das Spinnennetz verteufeln“, die Worte sprach er eher gedämpft aus, weil er nicht wollte, dass Hamish unnötig viel über die Bedenken seiner Frau und vielleicht sogar die eigenen Bedenken mitbekam, “aber bitte lass mich jetzt für ein paar Minuten vom Haken. Oder willst du Hamish in diese Diskussion einbinden? Er stimmt dir sicher in allen Punkten zu.“
Seine Ehefrau wollte er nicht in die Gewalt verwickeln, völlig egal wie oft sie seine blutigen Hemden wusch oder seine Verletzungen versorgte.
Ein Körper, der seit Jahren eher vor sich hin dämmerte, statt in einen tiefen und erholsamen Schlaf zu fallen, würde seine Gewohnheiten wohl nicht einfach so umstellen. Nicht in einem anderen Land und nicht, wenn er neben sich jemanden atmen hörte – was er Arvin natürlich nicht gedachte zum Vorwurf zu machen!
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